Andreas Strangmüller ist neuer Fernschachweltmeister der IECG
Beim klassischen Schach, dem Kampf am Brett im Angesicht des Gegners, zeigt das Ticken der Uhr unmissverständlich die begrenzte Bedenkzeit an. Daher ist eine umfassende Bewertung der Stellung nicht immer möglich und zum Teil wird sogar die taktische Spielanlage der Partie durch die Bedenkzeitregelung bestimmt. Deshalb haben die Schachspieler schon immer auch dem Fernschach gefrönt. Bei dieser Turnierform können im stillen Kämmerlein die Erfordernisse der Position in Ruhe ergründet werden, ohne durch Fehlzüge die Früchte der richtigen Partieanlage zunichte zumachen. Die richtige Stellungsbewertung ist also der alleinige Schlüssel zum Erfolg. Da die modernen Zeiten auch am Schach nicht vorbeigehen, hat sich Mitte der 90er Jahre die International-Email-Chess-Group ( IECG ) gegründet. Die Züge werden ausschließlich per E-Mail ausgetauscht und nicht wie bei den herkömmlichen Turnieren per Postkarte.
Im Jahr 2000 entschloss sich Andreas Strangmüller in den neuen
WM-Zyklus einzusteigen. In den Qualifikationsturnieren mit
Vorrunde, Halbfinale und Kandidatenfinale mussten 28 Partien bewältigt
werden. Der Landshuter schaffte dabei 19 Siege und 8
Unentschieden bei nur einer Niederlage. Damit war der Weg frei
zur WM-Endrunde. Am 16.05.2005 fiel der Startschuss für die 15
qualifizierten Teilnehmer.
Zunächst galt es die richtige Eröffnungswahl zu treffen. Mit
Schwarz ruhige positionelle Stellungen anstreben, die dem Gegner
wenig Möglichkeiten bieten, mit Weiß versuchen ohne unnötige
Risiken kleine Vorteile zu sammeln. Und natürlich galt es
abzuwarten, wie die Kontrahenten ihre Partien anlegen würden.
Als Erster wich der Ungar Istvan Schrancz vom Pfad der Tugend ab,
als er in der scharfen Benoni-Eröffnung eine leicht anrüchige
Variante wählte. Was am Brett noch gut funktionieren kann,
erweist sich im Fernschach schnell als Problem, wenn man auf eine
theoretisch bestens präparierten Gegner wie Strangmüller trifft.
Der Landshuter deckte die Schwächen der schwarzen Stellung ohne
Umschweife auf und mit nur den vier Leichtfiguren war der Ungar
gegen Dame und Turm machtlos. Der Japaner Kiyotaka Sakai
versuchte hingegen mit Schwarz im Slawen Beton zu mischen, kam
aber mit einer theoretischen Neuerung von Strangmüller nicht
zurecht. Dieser konnte daraufhin einen mächtigen Königsangriff
vom Leder ziehen, um in Verbindung mit einem gewaltigen
Freibauern den zweiten Partiegewinn einzufahren. Insgesamt war
der Start ins Turnier gut geglückt, lediglich gegen Klaus Müller
zeichnete sich eine gedrückte Stellung ab. Doch zunächst galt
die ganze Aufmerksamkeit dem Waliser John Claridge, der mit dem Königsgambit
das ganze Brett in Flammen gesetzt hatte. Mit kühlem Kopf und präzisen
Analysen fand der Landshuter aber die richtige
Verteidigungsstrategie und blies zur Gegenattacke. Nach
Beendigung des wilden Scharmützels hätte der Mann von der Insel
mit seinem Springer den Turm bändigen müssen. Ein
aussichtslosen Unterfangen, das zum Hissen der weißen Fahne führte.
Inzwischen waren die Figuren von Klaus Müller druckvoll postiert
worden und Strangmüller versuchte seine Stellung, die mehr und
mehr einem wackeligen Kartenhaus glich, noch irgendwie
zusammenzuhalten. Mehr Spaß machte da die Begegnung mit einem
weiteren Deutschen. Bernd Hönig wählte das Wolga-Gambit, um am
Damenflügel auf der Welle des Erfolges zu schwimmen. Strangmüller
umschiffte hier aber alle Untiefen und ließ den schwarzen König
nicht mehr in den Remishafen entkommen. Nach einigen
Punkteteilungen war nun wieder ein sorgenvoller Blick auf das
Geschehen am Brett von Klaus Müller zu werfen. Dieser hatte aber
gottlob keine weitere Verstärkung im Figurenaufbau gefunden und
Strangmüller entwischte soeben noch in ein ausgeglichenes
Turmendspiel. Damit zeichnete sich ein positiver Turnierverlauf
ab und es war an der Zeit zu schauen, was sich bei den Partien
der beiden Turnierfavoriten, Jorge Rodriguez aus Argentinien und
Nigel Robson aus England tat. Die Begegnungen des Argentiniers
waren noch nicht weit gediehen, während der Engländer bereits
kräftig gepunktet hatte und auf Titelkurs schien. Inzwischen
musste der Landshuter erkennen, dass nicht alle Bäume in den
Himmel wachsen. Gegen Ulrich Haug erreichte Strangmüller ein
kompliziertes aber aussichtreiches Läuferendspiel, in dem die gängigen
Computerprogramme bereits einen siegreichen Ausgang prophezeiten.
Aber die Befürchtungen des Landshuters bewahrheiteten sich. Sein
Gegner hatte ebenso wie er selbst die versteckte, hinter dem
Rechenhorizont der Programme liegende, Rettungsmöglichkeit
erkannt. Letztlich ein schönes Beispiel, dass man mit dem PC
alleine keinen Blumentopf gewinnen kann. In der Partie gegen
Robson hatte Strangmüller einen Bauern geopfert, um seine
Figuren effektiv zum Einsatz zu bringen. Somit entwickelte sich
die entscheidende Schlacht um den Titel. Der weiße Läufer
begann das Brett zu beherrschen und im Verbund mit einem
vorgeschobenen Bauern wurde die schwarze Stellung mehr und mehr
eingeengt. Aber der Engländer verteidigte sich noch hartnäckig.
So musste Strangmüller auch noch mit der Dame die richtigen
Angriffszüge gegen den feindlichen König finden, bis Robson
gegen die Doppeldrohung Bauernumwandlung und Matt nichts mehr
erfinden konnte. Jorge Rodriguez hatte inzwischen ein paar Remis
zuviel gespielt, so dass dem Landshuter hier ein Unentschieden
zum Titel gereicht hätte, da ihm der Sieg gegen Robson sozusagen
das bessere "Torverhältnis" beschert hätte. In einem
Vierspringerspiel sicherte sich Strangmüller aber heimlich,
still und leise einen Mehrbauern. Und so setzte er noch das Tüpfelchen
auf das "i" und verwandelte seinen Vorteil um auch die
letzte Partie noch zu gewinnen. Mit 10,5 Punkten aus 14 Partien
wurde Andreas Strangmüller damit mit einem halben Punkt
Vorsprung Weltmeister im Zyklus WC-2004.
IECG WM Finale 2004
WC-2004-F-00001
Platz |
Name | Land |
TER |
1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
6 |
7 |
8 |
9 |
10 |
11 |
12 |
13 |
14 |
15 |
Pkt. |
SB |
1 |
Strangmueller, Andreas | GER |
2335 |
? |
1 |
½ |
½ |
1 |
½ |
½ |
1 |
½ |
½ |
1 |
1 |
½ |
1 |
1 |
10.5 |
68.50 |
2 |
Robson, Nigel | ENG |
2608 |
0 |
? |
1 |
1 |
½ |
½ |
1 |
1 |
½ |
½ |
½ |
1 |
½ |
1 |
1 |
10.0 |
63.75 |
3 |
Mueller, Klaus Dieter | GER |
2377 |
½ |
0 |
? |
½ |
1 |
1 |
½ |
1 |
½ |
½ |
½ |
½ |
1 |
½ |
1 |
9.0 |
57.50 |
4 |
Peek, Marcel | NED |
2480 |
½ |
0 |
½ |
? |
0 |
½ |
½ |
1 |
1 |
1 |
½ |
1 |
1 |
½ |
1 |
9.0 |
54.25 |
5 |
Rodriguez, Jorge | ARG |
2572 |
0 |
½ |
0 |
1 |
? |
½ |
½ |
½ |
½ |
1 |
½ |
1 |
1 |
1 |
1 |
9.0 |
53.25 |
6 |
Pappier, Carlos | ARG |
2456 |
½ |
½ |
0 |
½ |
½ |
? |
0 |
½ |
1 |
1 |
½ |
½ |
1 |
1 |
1 |
8.5 |
51.00 |
7 |
Utesch, Wolfgang | GER |
2301 |
½ |
0 |
½ |
½ |
½ |
1 |
? |
½ |
½ |
½ |
½ |
½ |
½ |
½ |
1 |
7.5 |
48.00 |
8 |
Claridge, John | WLS |
2391 |
0 |
0 |
0 |
0 |
½ |
½ |
½ |
? |
1 |
½ |
1 |
½ |
1 |
1 |
1 |
7.5 |
40.00 |
9 |
Haug, Ulrich | GER |
2304 |
½ |
½ |
½ |
0 |
½ |
0 |
½ |
0 |
? |
½ |
1 |
½ |
½ |
1 |
1 |
7.0 |
41.50 |
10 |
Ingersol, Harry | USA |
2399 |
½ |
½ |
½ |
0 |
0 |
0 |
½ |
½ |
½ |
? |
½ |
½ |
1 |
1 |
1 |
7.0 |
39.75 |
11 |
Hoenig, Bernd | GER |
2395 |
0 |
½ |
½ |
½ |
½ |
½ |
½ |
0 |
0 |
½ |
? |
½ |
½ |
½ |
1 |
6.0 |
37.00 |
12 |
Sakai, Kiyotaka | JPN |
2501 |
0 |
0 |
½ |
0 |
0 |
½ |
½ |
½ |
½ |
½ |
½ |
? |
1 |
½ |
1 |
6.0 |
32.25 |
13 |
Maubrises, Etienne | FRA |
2196 |
½ |
½ |
0 |
0 |
0 |
0 |
½ |
0 |
½ |
0 |
½ |
0 |
? |
½ |
1 |
4.0 |
22.50 |
14 |
Schrancz, Istvan | HUN |
2477 |
0 |
0 |
½ |
½ |
0 |
0 |
½ |
0 |
0 |
0 |
½ |
½ |
½ |
? |
1 |
4.0 |
20.75 |
15 |
Taboada, Pedro Pablo* | CHI |
2330 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
? |
0.0 |
00.00 |
* vom Turnier zurückgetreten
Bericht von Heinz Kunz , Foto Klaus Kreuzer